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Arnold Stadler, der Ruhelose aus Rast

Arnold Stadler in Rast

„Es gibt keine Provinz, es gibt nur Welt,
aber das habe ich nicht gewusst.”

Arnold Stadler

In seinen Romanen vermisst und vermisst Arnold Stadler die Landschaften und die Seelen Schwäbisch-Mesopotamiens, dem Zweistromland zwischen Donau und Rhein, wo der Bodensee nicht mehr ist als die Großpfütze der Europaflüsse.

Stehende Gewässer liegen ihm nicht. Stillstand in Orten auch nicht. Sein Heimatort Rast hat den denkbar ungeeignetsten Namen für Stadlers Lebensmittelpunkt. Rast hat einen großen Sohn. Sagt man halt so. Er steht nicht in den Geschichtsbüchern, sondern sitzt in einem der wenigen noch erhaltenen Fachwerkhäuser im Dorf.

Die Bücher des Georg-Büchner-Preisträgers zählen zu den bedeutendsten Werken der Gegenwartsliteratur. Seine Muttersprache ist „Altraschterisch“, so nennt er zumindest seinen eigenen schwäbischen Dialekt. Im Landgasthof beim schwäbischen Wurstsalat, da fühlt er sich wohl.

Dort schweift sein Blick durch die Stube, während er sich erzählen lässt, wer von den Gästen nun zu welcher Familie im Dorf gehört. Oder er sich mit seinen Freunden Gedanken macht über schwäbische Beleidigungswörter. Oder er Spontanvorträge in Quizform hält, zum Beispiel: „Wer gilt als der älteste bekannteste Schriftsteller in deutscher Sprache?“ (Nein, es ist nicht Martin Luther)

Mit genauem Blick auf die Menschen schreibt Arnold Stadler – mal in seinen Erinnerungen, mal in deren Leiden – mit seinen Heimatromanen gegen den Heimatverlust an. Er schaut dem Volk auf’s Maul, ob’s ihm passt oder nicht.

Das hat Konsequenzen: alle, die sich in seine Nähe wagen, können literarische Figuren werden. Für ihn bedeutet das öfter mal Anfeindung, weil Wahrheit hinter den Eitelkeiten liegt: „Mit Dir schwätz‘ i nint meh, no komm i wiedr ins Buach“.

Immer wieder beschäftigen ihn die Minderwertigkeitsgefühle der Landbevölkerung wie bei einem Kirchenchor-Ausflug in den 1960er Jahren: „Der Name, der alte Bus, die Nummer: und drinnen wir. Nur wenn wir unter uns waren, schämten wir uns nicht. Sonst fremdelten wir wie Kleinkinder in ein paar bestimmten Monaten, wir aber ein Leben lang“, heißt es in „Ein hinreissender Schrotthändler“.

In Rast bleibt die Kirche im Dorf

Heimat ist für Stadler Lebenselixier und Erdung. In „New York machen wir das nächste Mal“ lässt der Erzähler den Protagonisten Roland reflektieren: „Damals war die Sehnsucht seine Zukunft, so wie die Vergangenheit nun sein Heimweh war“.

St. Michael, Rast

„Das Urbild von Größe gibt für mich der Raster Kirchturm ab“, bekennt er sein Heimatdorf als Kristallisationspunkt. Die großen Denker der Region wie der Philosoph Martin Heidegger oder der Hofprediger Abraham a Sancta Clara gehören zu seinen geistigen Bezugspersonen.

Die Beschäftigung mit den Menschen seiner Heimat ist aus Anhänglichkeit geschehen. „Ich wollte mich nicht über die Menschen lustig machen, sondern ich habe sie ernst genommen, wahrgenommen“, sagt der Büchner-Preisträger während der Verleihung irgend eines anderen Preises, über den er sich freut, weil er Geld bringt.

Landschaft ist kein Spielplatz der Energiewirtschaft

Nach den Laudatoren darf der Autor sprechen: unverhohlen zettelt Arnold Stadler eine Don-Quijoterie an, damit die Würdigung seines literarischen Lebenswerkes nicht zum gesellschaftlich-repräsentativen Genrebild degeneriert.

Energisch reitet er dann dem politischen Publikum entgegen und lanciert eine Attacke gegen die Ignoranz der Energiewende, die in Gestalt von Windrädern die Landschaft seiner Heimat zerstören – dabei „luftet’s do gar net“. Vehement wehrt er sich gegen diese „Windkraftmonster“.

In Meßkirch wurde Arnold Stadler geboren. Im Schloss war nach dem Zweiten Weltkrieg auch das Gymnasium untergebracht.

Die Landschaft sei das wertvolle, zu schützende Kapital der Region. Es könne einen die „Schwarzwaldtannen-Schwermut“ befallen, bei dieser fortschreitenden Verwüstung unseres gemeinsamen Lebensraumes. „Ich sehe meine Aufgabe darin, das zur Sprache zu bringen.“

Arnold Stadler ist aber auch in der ganzen Welt unterwegs und steht ganz offen in der Tradition schwäbischer Reisefreude. Als Welt-Bürger sieht er sich nicht, er zählt sich zu den (vergessenen) Landmännern. Seine Weide ist das Spannungsfeld zwischen moderner Sprachverhunzung und heimatmordendem Sprachverlust.

Heimatromantik sucht man bei diesem Heimatdichter vergebens – außer es gibt sie.

Arnold Stadler, Rast und die Kriege

Wie es das Schicksal so will, habe ich mich just in Rast eingemietet, als der pseudo-neozaristische Putin-Krieg gegen die mehr oder weniger freistolze Ukraine beginnt. Dabei fällt mir ein Sammelband in die Hand, der beweist: selbst Rast ist nicht klein genug, als dass ein Krieg es übergehen könnte. Und so wurde schon früher auch Stadlers Familie getroffen:

Der Großvater […] war ein Überlebender des Ersten Weltkrieges, zu dem er aber, anders als die Politiker und Historiker, die nicht dabei waren, nur der Erste Krieg sagte. Und ermöglichte so auch unser Leben. Er heiratete, als wäre es nur dem Kanonenfutter halber für den Zweiten Weltkrieg gewesen. Seine drei Söhne wurden abermals, selbstverständlich ungefragt, in den Krieg geschickt. Zwei blieben irgendwo liegen. Von einem, der dann mein Vater wurde, kam 1947 das erste Lebenszeichen, vom Postboten ins Haus gebracht […] Doch es dauerte noch einmal über zwei Jahre, bis er 1949 durch dieselbe Haustür ging.

aus: Arnold Stadler: Muss ich jetzt sterben?, in: Familienerinnerungen aus dem Großen Krieg

Gerne arbeitet er auch mit anderen zusammen, deutet die Wertigkeiten seiner Mitstreiter auf dem und im Land aus. Wie sein Ausflug in die Welt von Jakob Bräckle, den „Julius Bissier am Bodensee“ oder seine Reflexionen zu Wolfgang Veesers Fotos im Pfrunger-Burgweiler Ried.

Seine neueren Romane tragen die Titel „Rauschzeit“, dem Paarungsroman im Großstadtwald und „Am siebten Tag flog ich zurück“, den er nach seiner Rückkehr von einer Reise zum Kilimandscharo verfasste.

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