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Camping ist Lebensform
Wohnwagen und -mobile stehen selten für ein funktionales Produkt mit linearen Fortbewegungsoptionen von A nach B. Hier gilt: „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ und mit jeder Form – es gibt keine zwei gleiche! – erfüllt sich jede/r seine/n Traum von Mobilität und Freiheit, der so gar nichts mit unserem Konzept der Sesshaftigkeit gemein zu haben scheint.
Der 55. Caravan Salon steht für Superlative. Beispiel: Hymer. Mit einer Umsatzsteigerung von rund 16,62% hat man die 400 Mio.-Grenze geknackt und in der vergangenen Saison mit rund 9000 Exemplaren auch knapp 20% mehr Fahrzeuge verkauft. Damit gehört Hymer zu den wirtschaftlich Erfolgreichsten der Branche. Zugleich steht der Caravan Salon in Deutschland für die Geschichte der individuellen Mobilität, die zu einer ungeahnten, nicht enden wollenden Expansion des Reisens geführt hat. Symbole hierfür sind beispielsweise der VW Käfer mit einem Eriba Wohnwagen Touring, kreative Trabbi-Eigenausbauten aus DDR-Zeiten oder der „Bulli“ VW T2, dessen Hippie-Orange mit Prilblumen als Symbol für alltagsfernes „on the road again“ wieder im Kommen ist.
Trends
1. Fahrzeuge: designte Luxus-Liner und Modulare
Camping = günstig urlauben? Nein! Der Caravan Salon ist auch eine Demonstration von Luxus, aber ebenso von Zusammengehörigkeit. Exklusivität ist nicht zwingend eine Frage des Geldbeutels, aber immer auch ein Teil des Lebensgefühls, zu einer Marken-Family zu gehören. Für die Hersteller ist das nicht unbedingt ein kostenproduzierender Marketingfaktor, denn man kann durch Bindung leichter evaluieren und die eigene Kundschaft auch in die Entwicklung der Markenwelt integrieren. Ein Beispiel dafür ist die Studie von Hymer, die einen Liner auf Basis der S-Klasse konzipiert hat.
Ein weiterer Trend besteht nach wie vor in der Faszination durch Multifunktionalität. Zu den All-in-one-Lösungen gehören vornehmlich Kastenwägen und Vans, die man nach kleineren Umbauten auch im Alltag nutzen will. Spacecamper, Karmann oder HymerCar gehören zu den bekannten Anbietern. Bereits im Vorfeld für Furore hat beispielsweise der Pössl Campster gesorgt. Features wie herausnehmbare Küchenblöcke gehören vermutlich bald zu den wichtigsten Standards in diesem Sektor.
Der Bulli ist nach wie vor das Wohnmobil-Symbol schlechthin und macht auch den VW T6 California zum Dauerbrenner unter den Vans. Immer wichtiger wird auch das Außendesign. Kann man bei den Vans noch viel über den Lack regeln, wird das bei den Aufbauten schon etwas schwieriger. Aber: der neue Smove von Niesmann und Bischoff wird als Meilenstein beim Design von Teilintegrierten bis 3,5 Tonnen gefeiert. Zurecht.
2. Mietkultur: Eigentum ist nicht alles
Projekte wie airbnb zeigen: man muss nicht alles besitzen, um es auch nutzen zu können. Was für Privatwohnungen gilt, geht natürlich auch bei Freizeitmobilen zwischen einer und drei Achsen. Die Schau über den Tellerrand kann hier viele Dynamiken erzeugen: es gibt historische Modelle, die man schon immer einmal erleben wollte, man braucht eine Übernachtungsgelegenheit auf einer Geschäftsreise oder Helfer zur Refinanzierung des Freizeitmobils. Über Plattformen wie Share a Camper ergeben sich neue Möglichkeiten der bewohnbaren Mobilität. Man muss eben den Mut haben, andere in das eigene Leben schauen zu lassen und in anderer Leben zu schauen.
3. Green Touring: Altpapier to travel?
Begriffe wie Euro 6 Norm, LED-Beleuchtung bzw. generell niedriger Stromverbrauch oder kurze Wege zum Händler bzw. Hersteller stehen für eine ökologisch orientierte Wirtschaft, die auch von den Reisemobil-Machern zunehmend erfüllt wird. Die Strategien bei der Ausstattung können dabei durchaus variieren und fordern die Kreativität der Designer.
Auf die Forderungen nach Nachhaltigkeit, Robustheit und Umweltfreundlichkeit reagieren die Reisemobil-Hersteller unterschiedlich. Während beispielsweise die einen wegen potentieller Undichtigkeitsschäden auf Holz möglichst vollständig verzichten, setzen andere nachgerade darauf. Der quasi biologisch abbaubare Wohnwagen „Cameleon ECO Leisure Trailer“ ist komplett aus Holz und Altpapier (!) aufgebaut. Die Wände sind mit einem Speziallack abgedichtet und man kann sie nach ein paar Jahren erneuern bzw. restaurieren. Die Einrichtung ist KISS. Mich erinnert diese Wohnkiste an Faltcaravans aus den 1930er Jahren.
In motion: Touristische Kooperation
Die Positionierung als Livestyle- und Community-Anbieter bringt die Hersteller zunehmend in die Nähe zur touristischen Vermarktung von Destinationen. Oberschwaben steht dabei wie keine andere Region in Europa für Innovationen im Freizeitmobil-Bau. Zahlreiche Hersteller sind zwischen Donau, Bodensee und Allgäu zu Hause und bilden die Wiege des Reisemobils. Exemplarisch für diese Entwicklung steht Hymer, schließlich bietet der Reisemobil-Hersteller in Bad Waldsee mit dem Erwin Hymer-Museum und den Werksführungen selbst touristische Angebote.
Für die Vermarktung der süddeutschen Reisemobilregion verantwortlich ist die Marketinggesellschaft OberschwabenAllgäu. Gemeinsam mit Leistungsträgern wurde das Roadbook „Genießertouren OberschwabenAllgäu“ herausgegeben, in dem kulturelle und kulinarische Highlights im „Himmelreich des Barock“ mit den Aktivmöglichkeiten des mobilen Reisens präsentiert werden. Die Donautal-, Federsee-, Schussental- und Allgäu-Genießerrouten führen in entdeckenswerte Winkel. Campingplatz-Verzeichnis und Stellplatz-Liste fehlen natürlich nicht und HymerCar hat sich mit der Entwicklung eines eigenen E-Bikes längst auf das 200jährige Fahrrad-Jubiläum eingestellt. Die dazugehörige Broschüre (und viele andere) können bei Oberschwaben-Tourismus GmbH oder bei Hymer bestellt werden.
Tipp: Auf den oberschwäbischen Genißerrouten kann man eine einwöchige Tour in einem Hymer-Reisemobil gewinnen.
[wpsleep end=“04.09.2016″]Der Caravan Salon ist noch bis kommenden Sonntag geöffnet. Am Wochenende von 2. bis 4.9. findet zusätzlich die Tour Natur statt.[/wpsleep]