Dieser Zeugenberg ist ein Kegel der Kunst und Ausstellungsort der Kunststiftung Hohenkarpfen, die im Ensemble mit anderen auf der ungewöhnlichen Erhebung unterhalb der Burgruine und den umgebenden Äckern, Wäldern und Wiesen das entfaltet, was ihn ausmacht: Landschaft.
Auf dem Berg der Ästheten in der Kunststiftung Hohenkarpfen
Vor knapp vierzig Jahren gründete Prof. Friedemann Maurer das Kunstmuseum, das sich den Früchten aus dem Spannungsfeld von Natur und Kultur verschrieben hat. Meist zwei Ausstellungen pro Jahr widmen sich dem Schwerpunkt Landschaftsmalerei des 19. und 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Südwesten – entweder durch die Sichtweise und Bilder einzelner Künstlerinnen und Künstler oder unter bestimmten thematischen Blickwinkeln.
Die Kunststiftung Hohenkarpfen hat sich mit regionalen Ausstellungen überregional einen Namen gemacht. Hier lassen sich immer auch ungewöhnliche Entdeckungen machen. Als beispielsweise 2013 die Ausstellung „Aus der Heimat in die Welt“ über Maria Caspar-Filser anstand, bekannte selbst der damalige Kustos freimütig, dass ihm „die Malerin vor seiner Zeit auf dem Hohenkarpfen gänzlich unbekannt war“ und er sie heute als eine der „bedeutendsten Malerinnen Süddeutschlands“ schätzt.
Ausstellung 2024: Hermann Pleuer – Impressionist in Süddeutschland
Die erste Ausstellung 2024 widmet sich dem Stuttgarter Maler Hermann Pleuer. Er wurde umgangssprachlich bekannt als „der Maler der Eisenbahn“. Nicht zuletzt gegen diese Verkürzung wendet sich die Ausstellung der Kunststiftung Hohenkarpfen, die noch bis 21. Juli 2024 zu sehen ist. Sie zeigt Pleuer und einige Zeitgenossen als schwäbische Impressionisten, die hinter dem berühmten französischen Impressionismus nur zeitlich etwas zurück stehen. Doch in Sachen Virtuosität und Lichtspiel bewegen sie sich durchaus auf Augenhöhe.
Bei Hermann Pleuers Werk entsteht eine Spannung aus der Gegenüberstellung von Stadt und ländlichem Raum, von Industrie und Landschaft (im natürlichen Sinne). Verklärung war Hermann Pleuer dabei fremd, wie auch der Kustos der Kunststiftung Hohenkarpfen betont:
Neben stimmungsvollen Dämmerungs- und Nachtbildern und mondänen Großstadtszenen aus Venedig, London und Paris galt sein Interesse in besonderer Weise dem Landschaftsbild. […] Seine Werke sind gekennzeichnet von einer realistischen Grundhaltung und der Wirklichkeitstreue der Farben und Töne.
Mark R. Hesslinger, Kunststiftung Hohenkarpfen e. V.
Schenkung 2023: Fritz Lang-Holzschnitte gehen in Sammlung über
Die Kunststiftung Hohenkarpfen weiß auch in der künstlerischen Saure Gurken-Zeit während der kalten Jahreszeit mit Überraschungen zu glänzen. Durch eine Schenkung von 200 Holzschnitten wächst die Sammlung spürbar an. In der Pressemitteilung der Museumsleitung heißt es: „Das Werk des Stuttgarter Malers und Holzschneiders Fritz Lang (1877 – 1961) wird damit zu einem Schwerpunkt in der Sammlung des Kunstmuseums. Mit dem Legat der Familie wächst die Sammlung der Kunststiftung um circa zweihundert qualitativ herausragende Werke“.
Fritz Lang ist wahrlich kein Unbekannter in der Kunststiftung Hohenkarpfen. 2014 kuratierten der Schriftsteller Arnold Stadler und der Kunsthistoriker Stefan Borchardt eine umfangreiche Ausstellung über Fritz Lang mit dem Titel „Zwischen Alb und Afrika“ im Kunstmuseum Hohenkarpfen. Mit Schwäbischer Alb und Afrika sind entscheidende Prägungen und Motive in der Kunst Fritz Langs umrissen. Daneben ist auch der Einfluss des Japonismus und des japanischen Holzschnitts greifbar, wie er typisch für den europäischen Impressionismus und Jugendstil ist. Die neuen Werke in der Kunststiftung Hohenkarpfen werden nun inventarisiert und bald auch zu sehen sein.
Ausstellung 2023: Hans Thoma – Sommerlandschaft mit Storch. Spuren eines Künstlerlebens
Mit der Ausstellung über Hans Thoma startet die Kunststiftung Hohenkarpfen am 2. April 2023 mit einem Künstler, der regionale Landschaftsmalerei und überregionale Anerkennung vereint.
Hans Thoma stammt aus einfachen Verhältnissen im Schwarzwald und machte trotz großer anfänglicher Hindernisse eine beachtliche Karriere als Kunstmaler, die in seiner Professur an der Großherzoglichen Kunstschule und der Direktion der Kunsthalle in Karlsruhe gipfelte. Hans Thoma starb 1924.
Ein Jahr vor seinem 100. Todestag widmet die Kunststiftung Hohenkarpfen dem Schwarzwälder Kunstmaler und Schriftsteller eine eigene Ausstellung. Für die vorzeitige Schau ein Jahr vor dem Gedenken mit der „Sommerlandschaft mit Storch“ im Zentrum gibt es handfeste Gründe.
Denn das Bild wird trotz Thomas Berühmtheit das erste Mal überhaupt öffentlich ausgestellt. Als wäre das nicht schon Sensation genug, gibt es trotz der Eigentümerschaft der Kunststiftung in Form einer aktuellen Dauerleihgabe auch nur dieses Jahr die Möglichkeit, es auf dem Hohenkarpfen zu zeigen.
Hans Thoma zwischen Realismus, Symbolismus und Deutschtümelei
Hans Thomas Werk steht durch seinen realistischen Kunstansatz einerseits im Gegensatz zu Akademismus und Historismus, aber auch zu Moderne und Avantgarde – zumindest soweit man dabei an ungegenständliche Kunstsprachen denkt. Später geriet seine Malerei wegen seiner Heimatverbundenheit auch in den Ruch der Deutschtümelei.
Dieser Bezug ist Folge der Vereinnahmung von Hans Thomas Werk. Denn sowohl das kaiserliche als auch das nationalsozialistische Deutschland interpretierten sein Werk als besonderen Ausdruck von urdeutschem Wasauchimmer. Damit nicht genug, denn auch in der Folge nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches verharrte die Rezeption seiner Arbeiten häufig in diesem Kontext – genau genommen stellenweise bis heute.
Doch wenn Avantgarde nicht ideologisiert wird, besticht das Oeuvre Thomas in Vielfalt und Ausdruck doch durch Weltoffenheit und nicht als Propagandainstrument. Wie die meisten Künstler suchte auch Hans Thoma Freiheit und Unabhängigkeit im individuellen Schaffen. Bei ihm galt das sogar ohne Rücksicht auf materielle Interessen, die auch durch seine religiöse Prägung im Schwarzwald begründet sein dürfte. In Anlehnung an die berühmte Phrase aus Lessings ‚Emilia Galotti‘ bekannte er:
Man sagt: „Die Kunst geht nach Brot,“ aber ich sage: „Die Kunst ist selber Brot, eine der Menschheit zu ihrem geistigen Bestehen notwendige Nahrung.“
Hans Thoma, zitiert nach Joseph August Beringer: Der Malerpoet, 1917
Das hochformatige Landschaftsbild „Sommerlandschaft mit Storch“ ist nicht nur Titelgeber der Ausstellung, sondern wurde von der Kunststiftung mit dem Untertitel ‚Spuren eines Künstlerlebens‘ ergänzt.
Damit ist kein gemeinhin verpönter „Biographismus“ gemeint. Dieser gilt – mal mehr, mal weniger relevant – als unwissenschaftlich und weicht in der Regel werkimmanenten Ansätzen zur Kunstinterpretation. In den Spuren eines Künstlerlebens wird die Entwicklung Thomas Malereien in unterschiedlichen Arbeitsphasen aufgegriffen.
Welches Geheimnis birgt die „Sommerlandschaft mit Storch“?
Das Jahreszeitengemälde „Sommerlandschaft mit Storch“ stammt aus dem Besitz des Konzerns Wüstenrot und Württembergische und wurde der Kunststiftung Hohenkarpfen als Dauerleihgabe überlassen. Soweit so gut, doch der Eigentümerwechsel brachte auch die Frage nach der vorherigen Provenienz des Bildes auf den Plan, der Kustos Mark R. Hesslinger nachging. Er berichtet:
Anfang der 1870er Jahre erbaute der Frankfurter Kaufmann Alexander Gerlach eine Villa im Gründerzeitstil in der Guiollettstraße 34. Für die Ausgestaltung des Gartensaals beauftragte er den Maler Hans Thoma, der dort 1874 insgesamt sieben Wandbilder schuf. Um 1900 verkaufte Gerlach das Anwesen an den damaligen Direktor der Cassella Farbwerke, Albert Ullmann.
Quelle: Kunststiftung Hohenkarpfen, Mark R. Hesslinger
Während des „Dritten Reiches“ musste die jüdische Familie Ullmann 1938 aus Deutschland fliehen. Zuvor wurden die Thoma-Bilder von den Wänden abgenommen und verfolgungsbedingt an die jüdische Kunsthandlung Heinemann in München verkauft.
Über eine abenteuerliche Odyssee gelangte die Sommerlandschaft mit Storch nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren in einer öffentlich-rechtlichen Auktion auf den Markt. In der Folge schmückte sie als eines der Hauptwerke der Sammlung die Karlsruher Versicherung, ohne dass irgendjemand den geringsten Anlass gehabt hätte, Verdacht zu schöpfen.
Dieser „Verdacht“ kam nun durch die Rückverfolgung auf, denn in besagter Galerie Heinemann befand sich das Bild, als die rechtmäßigen Eigentümer enteignet und vertrieben wurden. Das Werk ist also ein Stück Raubkunst. Die Kunststiftung konnte nun Anfang 2023 die sogenannte Restitution abschließen, in deren Prozess eine Rückführung des Werkes in rechtsgültige Verhältnisse angestrebt wurde. Damit einher geht die Abtretung des Eigentums durch Wüstenrot & Württembergische in Form einer Schenkung.
Mit einem weinenden und einem lachenden Auge wird das Gemälde also nach der Ausstellung in der Kunststiftung Hohenkarpfen wieder nach Frankfurt reisen, so dass jetzt auch der richtige Zeitpunkt gekommen ist, das Gemälde im Ensemble mit anderen Arbeiten auf dem Kunstkegel nochmals und erstmals zu zeigen.
Welche Arbeiten von Hans Thoma werden noch ausgestellt?
Die Aura der Sommerlandschaft mit Storch wird gefüllt mit Arbeiten von Hans Thoma aus allen Alters- und Schaffensphasen, die in der Ausstellung der Kunststiftung Hohenkarpfen ästhetisch und stilistisch nachvollzogen werden können. Im Standardgenre Landschaftsmalerei taucht dabei immer wieder auch ein Storch als Staffage auf.
In den früheren Werken fällt insbesondere die Nähe zum französischen Realismus im Stile eines Gustave Courbet auf. Und wie in allen Bildern ist der Storch an den Bildrand gedrängt.
In der Bachlandschaft bei Nidda findet sich einerseits erneut ein unauffällig-auffälliger Storch, gleichzeitig ist die Atmosphäre der Landschaft bereits in eine transzendentere Farbigkeit getaucht, die aber auch etwas von der barocken Dramatik früherer Arbeiten enthält.
In späteren Arbeiten ist die Dramatik der Arbeiten bis zur 1900er Jahrhundertwende einer eigentümlichen Ruhe in der Malerei Hans Thomas gewichen. Ein Storch ist im ‚Junimorgen‘ nicht mehr zu finden, ebenso wenig ein dramatischer Wolkenhimmel, der hier einem sommerlichen Blau gewichen ist. Auch ist die Formensprache sehr geordnet und dabei quasi ebenso frei von Anthroposophie wie von rechten Winkeln.
Stattdessen hat sich ein Rotkelchen auf einem Zaun niedergelassen. Rotkelchen symbolisieren häufig das Leiden Christi, sie tauchen immer als Gott Vater in die Passion ein. Sie spenden Trost und ewiges Licht. Der Storch hingegen steht für die Anfangphase von Lebenszyklen. Alle kennen die Mär vom Storch, der die Kinder bringt. Doch symbolsprachlich ist damit die freudvolle Erneuerung des Lebens und der Schöpfung gemeint, die nur eines kennt: grenzenlose Zukunft.
Die Darstellung von Vögeln als symbolischer Teil einer Landschaft, in der sie proportional nur einen geringen Raum einnehmen, ist aber kein Standardmotiv bei Hans Thoma, wie am Beispiel der Wundervögel zu erkennen ist. Hier wird das Gestaltungsprinzip umgekehrt und die Landschaft wird zur Nebenrolle neben den Vögeln in Nahsicht.
Fazit: Die Ausstellung in der Kunststiftung Hohenkarpfen greift alle wesentlichen Werkphasen komprimiert auf und platziert sie um die künstlerische und historische Bedeutung der ‚Sommerlandschaft mit Storch‘, um Einblicke in wesentliche Schicksale des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu geben.
Ein Besuch beim „Wanderer zwischen den Welten“, wie Hans Thoma auch genannt wird, lohnt sich, um an den affirmativen Seiten von Heimatliebe und Landschaft Anteil zu nehmen. Darüber hinaus leistet die Ausstellung ein Stück Rehabilitation, die bezogen auf Person und Werk gar nicht notwendig ist, aber dennoch in der Rückgabe der ‚Sommerlandschaft mit Storch‘ einen wertvollen Höhepunkt findet.
Öffnungszeiten der Kunststiftung Hohenkarpfen
Die Ausstellung „Hans Thoma: Sommerlandschaft mit Storch. Spuren eines Künstlerlebens“ beginnt am Sonntag, den 2. April 2023 um 11 Uhr und endet am 23. Juli 2023. Die Kunststiftung Hohenkarpfen ist immer von Mittwoch bis Sonntag sowie an Feiertagen von 13.30 Uhr bis 18.30 Uhr geöffnet.
Immer mittwochs um 17 Uhr, jeden ersten Sonntag im Monat um 16 Uhr und nach Vereinbarung können kunsthistorische Führungen besucht werden. Die Zeiladresse lautet Hohenkarpfen 1, 78595 Hausen ob Verena.
Die „Sommerlandschaft mit Storch“ wird ab Sommer mit anderen Gemälden des Zyklus in einer Sonderausstellung „Restitution als Chance – Hans Thomas Jahreszeitenzyklus aus der Frankfurter Villa Ullmann“ erneut ausgestellt (ab 12. Juli im Historischen Museum der Stadt Frankfurt/Main).
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