Die Erfindung von industriellen Kühlsystemen hat auch die Bequemlichkeit der Menschen bedient. Seit uns die Umwelt zwingt, wieder vermehrt über den Umgang mit Lebensmitteln nachzudenken, wird traditionelle Konservierung wie das Fementieren wiederentdeckt. Das aus guten Gründen. Während des Besuchs eines Workshops in Vorarlberg lernen die Teilnehmer, gesunde Lebensmittel herzustellen. Der Kurs wird nicht nur zur Begegnung mit fermentierter Nahrung, sondern auch mit besonderen Menschen.
Bacteriosapiens in Lustenau: der Spirit fermentierter Nahrung
Erste Station des Fermentations-Workshops ist Lustenau. Hier im Vorarlberger Rheintal ist Sanjay Bösch Zuhause. Im Haus seiner Familie hat er sich eine Küche und Lagerräume für seine Produktion fermentierter Gemüse eingerichtet. Sanjay nennt seine Firma Bacteriosapiens, denn der Name verbindet den Prozess des Fermentierens mit einer Lebenshaltung.
Was ist Fermentation nochmal?
Fermentierte Lebensmittel kommen zunehmend wieder in Mode. Das aus gutem Grund. Sie gelten als äußerst gesund, um Entzündungen im Körper zurückzudrängen und vorzubeugen, das Immunsystem zu stärken und die Darmflora zu stabilisieren. Geschmacklich fordern sie ein wenig Umstellung, aber sie sind sehr schmackhaft, wenn man sich ein wenig daran gewöhnt hat.
Fermentation ist eine biochemische Reaktion, die durch Mikroorganismen und deren Enzyme ausgelöst wird. Dabei brechen Bestandteile von Rohstoffen auf. Bezogen auf den Stoffwechsel bedeutet das nichts anderes als vorverdauen, aber eben auch haltbar machen. Kein Wunder also, dass Sanjay behauptet: „Ich habe mehr Mitarbeiter als Sterne am Himmel stehen“.
In diesem Zusammenhang kommt auch der Begriff „artisinale Lebensmittel“ ins Spiel, um den kreativen Prozess des Fermentierens zu beschreiben. Lebensmittel sind dann im Grunde lebende Mittel. Sie verändern laufend ihre Struktur und auch ihren Geschmack. Sanjay präsentiert einige seiner Köstlichkeiten, in die er japanische und indonesische Einflüsse aus seinen Reisen einarbeitet. Zu seinen Produkten gehört auch eine traditionelle Sojasoße, die geschmacklich weitaus mehr bietet, als wir das von den Massen-Koikuchi kennen.
Aus alt mach neu: der Klostergarten Marienberg in Bregenz
Bevor wir unser eigenes Kimchi beim Fermentations-Workshop zubereiten, wechseln wir den Ort – und vielleicht auch die Zeit. Ziel ist der Klostergarten Marienberg in der Bregenzer Oberstadt. Von hier kommt die Hauptzutat Weißkohl und auch einige andere Gemüse, die wir vom Beet ins Glas bringen. Dabei kommt es zur zweiten Begegnung mit einem Ungewöhnlichen. Wir lernen den Betreiber Nicolai Jochum kennen.
Nicolai treibt mit dem Klostergarten die kleinste Landwirtschaft in Vorarlberg um. Auf zwei Hektar baut er Gemüse und Blumen an. Seine Arbeitskleidung sieht ältlich aus und passt vordergründig nicht zu seinem Selbstbewusstsein und zu seinem Alter. Meine spontane Assoziation: „Das ist ein alter Bauer, den Gott nach einem langen Leben nochmal jung werden ließ“. Irgendwie stimmt das sogar. Denn wenn man sich in seiner Landwirtschaft umschaut, sieht man fast ausschließlich alte Landmaschinen.
Doch das ist weder die Folge von Not, noch handelt es sich um eine Marotte. Es drückt Nicolais Konzept der Nachhaltigkeit aus. Eine kleinteilige Landwirtschaft ist dabei die Grundlage. Alte Maschinen nutzt er nicht, „weil man sie manchmal für 50 Euro bei Kleinanzeigen kaufen kann“. Wichtiger ist, dass diese alten Maschinen nach wie vor funktionieren und kein Energieaufwand mehr notwendig ist, um sie herzustellen. Mich hat es inspiriert, mal wieder auf einem Flohmarkt die Augen offenzuhalten und siehe da: Ich wurde fündig.
Passend dazu ist die Aussage von Nicolai über seine Landwirtschaft: „Wir sind kein moderner Betrieb, aber ein fortschrittlicher“. Er vertritt die Haltung: „Man muss nicht immer alles erneuern, wenn etwas gut ist und funktioniert“. Nicolai hat uns keine Einblicke in seine Buchhaltung gegeben, aber das Ganze scheint auch wirtschaftlich zu funktionieren, sonst würde er es nicht so machen. Wer seine Erzeugnisse erwerben will, geht am besten am Mittwochnachmittag zwischen 16 und 19 Uhr zu ihm in die Schlossbergstraße 11 in Bregenz. Da hält er Hof(laden).
Eine Frage der Offenheit: Kimchi können alle
Wir sind hier gelandet, um unser eigenes Kimchi herzustellen. Die Zutaten kommen direkt vom Feld und wir arbeiten auf einem Tisch im Freien. Wir arbeiten zusammen. Das ist insofern von Bedeutung, als unsere jungen Anleiter es generell – auch mit anderen Erzeugern, die in Vorarlberg aktiv sind – mit einem hohen Maß an Kooperation halten. Das #zäm ist eben Teil der Wertschöpfung.
Bei der ganz praktischen Anleitung nennt uns Sanjay zunächst die fünf Schritte einer Fermentation: Gemüse wird geschnitten, anschließend gesalzen, dann gequetscht, in Gläser gestopft und in Ruhe gelassen.
Der Reifungsprozess fermentierter Lebensmittel dauert je nach Sorten bis zu drei Wochen. Falls jemand auf die Idee kommt, sollte dieser Hinweis unbedingt beachtet werden: bei der Fermentation entstehen Gase, die das Behältnis unter Druck setzen.
Besonders expansive Sorten – und damit auch Kimchi – müssen zu Beginn mindestens zweimal täglich geöffnet werden, um den Druck abzugeben. Wer darauf verzichtet, muss beim ersten Öffnen mit einer Sprühtirade über die gesamte Umgebung rechnen.
#zäm: Regionale Produkte in Bodensee-Vorarlberg kennenlernen
Die Region am österreichischen Bodensee und Rheintal ist eine Heimstatt innovativer Erzeuger und Veredler, die sich für eine handwerkliche und natürliche Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln einsetzen. Die einzelnen Macherinnen und Macher zeichnen sich dabei aber nicht durch Eitelkeiten und Ellbogen aus, sondern durch ein zusammen – zäm eben. Sie setzen der Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion ihre Alternativen entgegen.
Fazit: Eine neue Welt entdeckt
Auch wenn mein Eindruck war, dass andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer schon vertrauter mit Fermentation waren, kann ich doch behaupten, dass dieser Workshop eine neue kulinarische Welt eröffnet. Neben der handwerklichen Einfachheit, dem Umdenken in Hygienefragen, der gesundheitlichen Förderung und der Freude am Experimentieren vermittelt der Workshop auch Zusammenhänge, die Nachhaltigkeit nicht nur als Modewort dastehen lassen.
Im Projekt #zäm werden diese Qualitätsmerkmale mit den Prinzipien nachhaltigen Reisens verwoben, erlebbar und auch erlernbar gemacht. Den Fermentations-Workshop und weitere Veranstaltungen dieser Art gibt es unter #zäm.at.
Transparenz: Die Recherchen zu diesem Artikel wurden durch eine Einladung von bodensee-vorarlberg.com zum Fermentations-Workshop unterstützt. Auf den Inhalt der Berichterstattung wurde kein Einfluss genommen.