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Explosiv: das Konstanzer Konzil und sein Konklave

Ein wichtiger Zeuge

Guillaume Kardinal Fillastre, Quelle: Wikipedia

Mit dem Historiker und Autor Henry Gerlach mache ich mich auf den Weg durch die Konstanzer Altstadt. Der Konzilsspezialist trägt ein rotes Kardinalskostüm, das unter den Passanten für neugierige Blicke sorgt. Er verkörpert damit im Jahr der Religionen den Kardinal Guillaume Fillastre, der 1417 am Konklave teilnahm. Henry Gerlach hat die Figur aus den Tagebüchern Fillastres aufgebaut. Der historische Kardinal ist besonders geeignet für die Vermittlung der Geschehnisse. Seine Tagebücher sind nicht nur (auch im Abgleich mit anderen) eine authentische Quelle des Ereignises von Weltrang, sondern liefern auch Einblicke in den Charakter des Kardinals. Das darstellerische Talent von Henry Gerlach löst die eine oder andere amüsante Irritation bei den Zuhörern aus. Denn Fillastre war wie so mancher Kardinal (dieser Zeit) ein eher hochmütiger Kauz, der sehr von sich selbst überzeugt war und in den Horizonten unserer Zeit reformatorische Abwehr-Reflexe auslöst.

Kardinäle: Zwischen Tür und Angel

Kardinäle sind nach dem Papst die ranghöchsten Würdenträger in der lateinischen Kirche. Aus ihren Reihen wird üblicherweise – auch wenn das kirchenrechtlich nicht zwingend ist – der Papst gewählt. Ihr Name leitet sich von lateinisch cardo, Türangel, ab und bezeichnete ursprünglich diejenigen Geistlichen, die vom Papst an eine der Kirchen in und um Rom berufen wurden. Sie sind sprichwörtlich Dreh- und Angelpunkt zwischen dem Papst und den Diöszesen bzw. der Kurie. Kardinäle werden mit „(Eure) Eminenz“ angesprochen. Sie haben hohe geistliche Befugnisse: „Ein Kardinal kann binden und auch lösen, was des Himmels ist, auch die Follower“, schmunzelt Henry Gerlach dazu. Die rote Farbe ihres Ornats symbolisiert das Blut der Märtyrer bzw. die Aufforderung an die Kardinäle, notfalls mit ihrem Leben für den Glauben einzustehen. Der rote Kardinalshut wurde 1969 von Papst Paul VI. (ebenso wie die Tiara) abgeschafft, durch ein Birett und/oder Pileolum ersetzt und wird nur noch in den Wappen der Kardinäle verwendet. Henry Gerlach als Kardinal des Mittelalters hat sich für seine Führungen zum Konklave einen authentischen Kardinalshut mit Quasten zugelegt.

Machtbeschneidung und eine verschärfte Wahlordnung für die Einheit der Christen

Doch mit der sonst üblichen Macht der Kardinäle war es auf dem Konstanzer Konzil nicht so weit her. Henry Gerlach erzählt von der Wahl Martin V., der nicht nur wie damals und heute üblich, von den Kardinälen gewählt wurde, sondern auch von den Vertretern der weltlichen Mächte in Europa. „Die Kardinäle konnten eigentlich froh sein, überhaupt wählen zu dürfen, schließlich hatten sie das große Schisma zu verantworten“, erklärt Henry Gerlach. Konsequenz war eine Reform der Regularien für diese Papstwahl, in der sich die europäischen Herrscher als eine Art Aufsichtsrat mit Stimmberechtigung einschalteten. 30 Vertreter-Stimmen der „Nationes“ standen 26 Kardinalsstimmen gegenüber von denen drei mangels Präsenz vor Ort nicht wahrgenommen wurden. Zugleich waren die Regeln so, dass kleine Sperrminoritäten eine Wahl scheitern lassen konnten. Das Konzil war also gezwungen, einen Kandidaten mit großer Mehrheit zu finden, wodurch zugleich die starke Symbolkraft der wiederhergestellten Einheit der Kirche zum Ausdruck kam.

Habemus Papam!

Zu Beginn des Konzils gab es drei Päpste: Gregor XII., Benedikt XIII. und Johannes XXIII., der als einziger nach Konstanz kam. Doch als die Luft für ihn eng wurde, floh er aus der Stadt, wurde gefangen genommen und inhaftiert. Darauf hin erteilte sich das Konzil selbst höhere Befugnisse als dem Inhaber des Papstamtes. Kirchenrechtlich ist das bis heute problematisch, da der legitime Papst Gregor XII. zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurück getreten war, was aber am 4. Juli 1415 folgte. Dennoch wurde Oddo Colonna am 11.11.1417 bereits im zweiten Wahlgang zum neuen Papst gewählt. Er gab sich den Namen Martin V. nach dem Tagespatron. Und wie heute ranken sich Geschichten ums Wetter und das Verhalten von Vögeln auf dem Wahlgebäude als die entscheidende Gegenwart des heiligen Geistes, der ja der eigentliche Berufer des Papstes ist.

Das „Habemus Papam!“ – „Wir haben einen Papst!“ aus dem Konzil in der Chronik von Ulrich Richental

Was macht eine Stadtführung in Konstanz so besonders?

„Historiker neigen dazu, den Verlauf der Geschichte und ihre Quellen so zu analysieren, dass sie erklären, warum alles so kommen musste“, sagt Henry Gerlach. Das ist aber nicht so selbstverständlich, wie ich im Laufe unserer Tour lerne. „Das eigentliche Wunder bestand nicht in der Wahl Martin V., sondern dass das Konzil überhaupt funktioniert hat“, erklärt Henry Gerlach. Das hätte ganz schnell schiefgehen können, wenn man sich vorstellt, dass Tausende von Konzilsteilnehmern aus zig verfeindeten Ländern in der Konstanzer Altstadt aufeinander trafen. Einmal zum Beispiel wollten die Kastillianer die Aragonesen umbringen. Das Konzil wäre sofort zu Ende gewesen, wäre das tatsächlich passiert. Es ist nicht passiert, weil die Aragonesen nicht Zuhause waren. Zwar gab es einige Tote durch Anschläge oder Reibereien, aber grundsätzlich war es so, dass man innerhalb der Stadtmauern miteinander gesprochen hat, während man sich vor den Toren der Stadt oder auf den Schlachtfeldern Europas umbrachte. (Es herrschte auch der hundertjährige Krieg). Konstanz war damals eine Art von Huren gesäumter heiliger Bezirk, in dem sich alle zusammen gerissen haben.

Diese Episoden sind nur ein kleiner Teil der Geschichte(n), die Henry Gerlach aus seinem Kardinalshut zaubert. Immer wieder greift er Seitenstränge und andere Themen der Konzilszeit auf wie die (Ablass-)Praxis des Fastens und die Ernährungsgepflogenheiten überhaupt, den Abgleich der Quellen und die Auseinandersetzung zwischen mehr oder minder notwendigen Reformen der katholischen Kirche.

Tipps

Henry Gerlach hat gemeinsam mit Monika Küble den mittlerweile in siebter Auflage erschienen historischen Kriminalroman In Nomine Diaboli geschrieben, der die Zeit des Konzils ebenfalls lebendig macht. „In Nomine Diaboli“ direkt beim Gmeiner Verlag bestellen.

Es gibt mehrere Themenführungen mit historischen Figuren im Kostüm. Einige Eindrücke im Artikel Das Mittelalter in Konstanz erleben: Konzil, Kähne, Kurtisanen. Die Saison der Stadtführungen beginnt kurz nach dem kalendarischen Frühlingsanfang.

Henry Gerlach hat einen Vortrag über das einzigartige Konklave in Konstanz gehalten:

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Dank für die Unterstützung des Artikels gilt nicht nur Henry Gerlach, sondern auch der Tourist-Info Konstanz und der Konzilsstadt Konstanz, bei denen man eine solche Führung buchen kann.

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