Polling gehört zu den schönsten, bedeutendsten und kreativsten Orten im Pfaffenwinkel. Ein Streifzug durch die Geschichte und Kultur des Dorfes.
Wenn man von Weilheim kommend auf Polling zufährt, hat man es bei klarem Wetter mit einer für den Pfaffenwinkel typischen Voralpen-Ansicht zu tun. Saftige Wiesen, ein Dorf, dahinter das Panorama der bayerischen Alpen. Polling ist jedoch kein Markt wie jeder andere, was sich bereits am großen Kirchturm des Ortes andeutet. Wer immer sich für Klöster, Kirchen, Könige, Künstler oder Kulinarik interessiert – das sei schon einmal vorweggenommen: ein Besuch in Polling ist ein Gewinn.
Fast 1300 Jahre Klostergeschichte in Polling
Die Gründung des Klosters Polling als Benediktinerabtei
Die Gründungslegende Pollings rankt sich um den bayerischen Herzog Tassilo III. Er soll eine Hirschkuh gejagt haben, die plötzlich stehen blieb und im Boden zu scharren begann. Drei Kreuze wurden so zu Tage befördert, wovon sich eines als wundertätig erwies. Der Anklang an die Kreuzigung Christi ist offenkundig. An dieser Stelle soll Tassilo III. dann das Benediktiner-Kloster Polling errichtet haben. Auf die Legende stößt man an mehreren Stellen in Polling. Eine davon ist der Kirchplatz, wo die Szene in einer Wandmalerei am Alten Seminar dem gotischen Pollinger Altar nachgeahmt wird.
Damit einher soll auch die Gründung des bayerischen Adelsgeschlechts der Huosi gegangen sein, die heute eher als die eigentlichen Klostergründer angenommen werden. Die Gründung des Benediktinerklosters ist zwar überliefert und wird aktuell um das Jahr 750 datiert. Gesicherte Erkenntnisse zur Gründung gibt es wie so oft aus dieser Zeit bisher jedoch nicht. Ansiedlungen gab es bereits früher.
Neben Tassilo und den Huosi gibt es weitere geschichtliche Phantasien und/oder Plausibilitäten, die ich mit den Fachleuten vom Pollinger Heimatmuseum diskutieren konnte: vielleicht stammt das Kreuz von einer römischen Kreuzigung, die entlang der Via Claudia Augusta stattgefunden haben könnte. Oder kam gar Kaiserin Helena mit Kreuzpartikeln durch ein antikes Polling und stiftete (Kontakt-)Reliquien? Aus kirchengeschichtlicher Sicht kommt auch eine Gründung durch iro-schottische Wandermönche in Frage, die es zahlreich in der gesamten Alpenregion gab. Zeitlich passt es zumindest ins Wirkungsfeld des heiligen Magnus von Füssen.
Selbst wenn nie Klarheit darüber herrschen wird, das wundertätige Kreuz bildet sich bis heute im Wappen der Ortschaft ab. Allerdings ist das erste Pollinger Kloster bereits im 10. Jahrhundert wieder untergegangen, zunächst im Zuge lokaler Enteignungen, später dann durch Plünderungen während der Ungarneinfälle, die 955 nach der Schlacht auf dem Lechfeld von Kaiser Otto I., Bischof Ulrich von Augsburg und den kaiserlichen Truppen endeten.
Herzog Heinrich trifft auf den Leichenzug Kaiser Otto III.
Es liegt über 1000 Jahre zurück und es ist auch nicht allzu bekannt. Doch Polling ist auch ein königlich-kaiserlicher Ort des Heiligen Römischen Reiches zur Zeit der Ottonen. Polling rückt für kurze Zeit in den Fokus der Geschichte des alten Europa. Als Kaiser Otto III. 21jährig völlig unerwartet während eines Italienaufenthaltes im Jahr 1002 stirbt, ist seine Nachfolge zunächst offen, denn es gibt keine Nachfahren. Ottos Leiche, dessen Leib in Aachen bestattet wurde, kam mit einem Tross im Februar 1002 über den Brenner.
Sein Vetter Herzog Heinrich IV. von Bayern ist ein loyaler Gefolgsmann seines Vetters und reagiert schnell auf diese Situation. Er untermauert seine Ambitionen als Nachfolger auf dem Königsthron, indem er dem Leichenzug Kaiser Otto III. entgegenreitet. In Polling treffen die beiden Gefolge aufeinander. Gemäß der damaligen christlichen Ritualwelt sorgt Heinrich damit für das Seelenheil seines Kaisers und vermeintlichen Vorgängers.
Zugleich findet in Polling der Wendepunkt in der zukünftigen Herrschaft über das Heilige Römische Reich statt. Denn Heinrich nimmt auch Teile der Reichsinsignien an sich. Allerdings nicht die heilige Lanze, deren Herausgabe Bischof Heribert von Köln zunächst verweigerte.
Heinrich führt fortan gegen Widerstände vieler Bischöfe und Herzöge den Leichenzug an und begleitet Kaiser Ottos Leichnam zunächst nach Augsburg, wo seine Eingeweiden in der damaligen Klosterkirche St. Afra bestattet wurden, wo auch der heilige Bischof Ulrich bestattet ist, der gemeinsam mit Otto I. die Magyareneinfälle 955 zurück geschlagen hatte. Anschließend begleitet Heinrich den Leichenzug noch bis nach Neuburg an der Donau. Später setzt er sich in einer Nachwahl durch und wird 1002 in Mainz von Bischof Willigis zu König Heinrich II., und 1014 in Rom von Papst Benedikt VIII. zum Kaiser gekrönt.
Das zweite Pollinger Kloster: Augustiner-Chorherrenstift
Heinrich II. stiftete ein neues Kloster, diesmal ein Augustiner-Stift, was 1010 durch eine Urkunde von ihm bestätigt ist. Dieses Kloster blieb dann auch fast 800 Jahre besiedelt – bis zur Säkularisation 1803. Im 13. Jahrhundert gab es auch eine Wallfahrt zum Heiligen Kreuz in Polling.
Während der Barockzeit wurden viele Gebäude neu ausgestattet. Hier ist besonders der Einfluss der Wessobrunner Schule der Künstlerfamilie Schmuzer und ihres Kreises spürbar. Ein spätbarocker Kupferstich zeigt die Klosteranlage im 18. Jahrhundert (um 1740):
Zum Kloster gehörte auch eine 80.000 Bände umfassende Bibliothek, die im bis heute erhaltenen und gepflegten Bibliothekssaal untergebracht war. Über Jahrhunderte – insbesondere während wissenschaftlicher Studien zur Zeit der Aufklärung – wurde die Pollinger Klosterbibliothek aufgebaut. Mit der Säkularisation wurde die zweitgrößte Bibliothek Bayerns aufgelöst und ging in den Besitz des Kurfürstentums, ab 1805 Königreichs Bayern als Rechtsnachfolger über. 20.000 Bände gingen an die Münchner Hofbibliothek, 7.000 an die Universität Ingolstadt, der Rest wurde makuliert.
Das dritte Pollinger Kloster der Dominikanerinnen
1892 – in einer Zeit, die kirchlich auch den Namen „monastischer Frühling“ trägt – belebten die Dominikanerinnen von Donauwörth das Pollinger Kloster neu. Sie erwarben das zwischenzeitlich in Privatbesitz befindliche Kloster und unterhielten hier bis 1972 eine Mädchen-Realschule. Unterschiedliche Nutzungen als Kinderkurheim, als Bildungshaus des Bistums Augsburg und bis heute als Hospiz wurden umgesetzt.
Dennoch ist ein Ende des klösterlichen Lebens mangels Nachwuchses absehbar. Deshalb wurde eine Stiftung gegründet, die auch in Zukunft für eine kirchliche und soziale Nutzung sorgt. Doch neben der klösterlichen Tradition hat Polling auch eine bemerkenswerte künstlerische Geschichte vorzuweisen.
Die Stiftskirche Heilig Kreuz und St. Salvator
Die Klosterkirche ist heute auch Pfarrkirche mit dem doppeltenten Patrozinium Heilig Kreuz und St. Salvator. Als ich dort am Gottesdienst teilnehme, habe ich besonderes Glück. Denn dieser Sonntag ist der Reliquiensonntag, der hier immer noch gefeiert wird und die geistliche Schau in den Himmel durch die Überreste heiliger Menschen würdigt. Der Altarraum ist festlich geschmückt und es sind zahlreiche Kerzen aufgestellt, so dass sich die barocke Pracht besonders entfaltet. Nach dem Gottesdienst gab es die ausdrückliche Einladung, auch die Reliquienkapelle zu besuchen, die an den Altarraum angrenzt.
Im Altar bildet sich das ganze theologische Konzept der Kirche und auch ihrer Geschichte ab: Altar: Im Mittelpunkt der Kirche, also im Namen, im Altar und auch in der gesamten liturgischen Ausstattung stehen das Kreuz und Christus, der Gekreuzigte und Erlöser.
Ein romanisches Kreuz, goldfarben eingefasst in einem goldenen, barocken Altar bildet das Zentrum der Stiftskirche. Um es herum sind die wichtigsten Zeugen von Polling abgebildet. da ist zunächst der Kirchenvater Augustinus, der auf die Existenz als Augustiner-Chorherrenstift verweist. Daneben der heilige Bischof Ulrich, Patron des Bistums Augsburg, zu dem auch Polling gehört. Unter ihnen das heilige Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde, die das zweite Pollinger Kloster gestiftet haben.
Offenkundig stammt das Patrozinium auch aus der Gründungslegende um das wundertätige Kreuz, das der Hirsch gefunden haben soll. Die Kirche in der heutigen Substanz ist barockisiert und wurde im 15. Jahrhundert erbaut, nachdem die Vorgängerkirche abgebrannt war. Die Galerie zum Durchklicken gibt Einblicke in die Schönheit der Stiftskirche:
Das Künstlerdorf Polling
Auch wenn die wenigsten hier namentlich erwähnt werden, so war bereits die klösterliche Geschichte bis zur Säkularisation ein Hort bildnerischen Wirkens, wie bis heute an der Pfarrkirche unschwer zu erkennen ist. In allen Epochen wurde die Kirche stilistisch erweitert und ausgeschmückt, darunter Hans Krumpper und Jörg Schmuzer von der Wessobrunner Schule.
Das Amerikanerdorf
Eine ganz andere Seite entwickelte Polling im ausgehenden 19. Jahrhundert, als sich hier vorwiegend amerikanische Künstler zusammen fanden, um ihre Kreativität zu entwickeln. Auslöser dafür war in Person Frank Duvenecks und etwas später Frank Carriers der Umstand, dass viele Amerikaner in München Kunst studierten. Sie stammten aus den Familien deutscher Auswanderer und besuchten die Heimat ihrer Familien. Der begeherte Studienort dieser Zeit war München. Sie verbrachten die Sommermonate häufig in Polling, wo sie sich beim Klosterwirt und ihre Ateliers in den säkularisierten Klostergebäuden günstig einmieten konnten.
Geschichtszentrum und Galerie der Moderne: das Heimatmuseum
Das ehrenamtlich betriebene Heimatmuseum Polling ist unter seinesgleichen ungewöhnlich. Denn das ursprünglich Anfang des 20. Jahrhunderts gegründete Heimatmuseum verfiel ab dem zweiten Weltkrieg in einen Dornröschenschlaf. In den 1980er Jahren kam es umso stärker zurück. Denn mit Hilfe von Spenden und dem Engagement der Einwohner fanden sich im ehemaligen Kloster Räume für eine komplexe Sammlung, die von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart die Schwerpunkte des Dorfes herausbildet. Dazu gehört auch eine Galerie mit Bildern der Künstler, die hier gewirkt haben:
Auch in der Literatur ist Polling weltberühmt geworden.
Die Manns in Polling und der Doktor Faustus Weg
Pfeiffering ist Polling. Zwar hat Romancier und Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann in seinem „Doktor Faustus“ einen fiktiven Ortsnamen gewählt, doch sowohl durch die Epik als auch die familiären Hintergründe besteht kein Zweifel an der konkreten Verortung des Romans in Polling. Die Familie Mann war viele Jahre in Polling. Auslöser war die Mutter von Thomas Mann und seinen vier Geschwistern. Sie lebte hier rund dreißig Jahre.
Polling war dabei nicht nur Schauplatz für Thomas Manns ausgewachsenen Geisteselitarismus, der zwar zur Gelehrigkeit der klösterlichen Tradition passt, aber so gar nicht in das Ziel des klösterlichen Christseins, Demut zu erlangen. In der Familie herrschte auch ein hoher Konkurrenzdruck, dem Schwester Carla in Verbindung mit einer unglücklichen Liebe durch ihren Selbstmord in Polling zum Opfer fiel. Viktor, der Jüngste der Mann-Geschwister, hat diesen Wettbewerb des großbürgerlichen Untergangs in seinem Buch „Wir waren fünf“ ein Kapitel in Polling gewidmet.
Heute kann den Stationen des Romans von Thomas Mann auf dem Doktor Faustus-Weg in Polling nachgegangen werden. Weitere Geschichten, Quellen und Zeugnisse sind aufbereitet worden und bilden einen wichtigen Teil des sehr gut gepflegten Heimatmuseums in Polling.
Zwischen Tempel und Land Art: Bernd Zimmer und das Kunstprojekt Stoa169
Der Künstler Bernd Zimmer steht auch heute für die Fortsetzung der künstlerischen Tradition in Polling. Dies gilt sowohl für seine eigenen Arbeiten als auch für die Initiierung gemeinschaftlicher Projekte. Im Heimatmuseum ist mir ein Linolschnitt besonders aufgefallen. Die Platten für eine ganze Reihe dieser Druckvorlagen wurden in einen früheren Boden des Klosterwirts geschnitten. Ein Abzug greift den Wechsel von Herzog Heinrich zum Königtum auf, was letztlich in Polling durch die Übernahme der Reichsinsignien stattgefunden hat.
Auffallend dabei: Bernd Zimmer zeigt Heinrich auch mit der heiligen Lanze. Ein bildnerisch genialer Zug. Denn die Lanze teilt das Bild und trennt Heinrich vom Reichsapfel. Bernd Zimmer drückt so mit einfachen Mitteln das Dilemma der Pollinger Tage Heinrichs IV. aus. Er beansprucht die Macht aus religiösen Gründen und das religiös stärkste Symbol trennt ihn (noch) vom König- und Kaisertum.
Ein ungewöhnliches Kunstprojekt dominiert derzeit das kulturelle Leben in Polling und im Pfaffenwinkel. Mit Stoa169 entsteht ein Musentempel mitten auf einem Acker. 11 mal 11 Säulen tragen ein Dach. Alle Säulen werden nach und nach von unterschiedlichen Künstlern aus aller Welt gestaltet.
Aus der Pollinger Dorfmitte kann man einen Spaziergang zu diesem einmaligen Projekt machen, das von Bernd Zimmer initiiert wurde.
Wohnen wie ein Kini beim Klosterwirt
Wo es bayerisch zugeht, spielt das Wirtshaus meist eine entscheidende Rolle. Im Falle des Klosterwirts in Polling trifft dies in besonderer Weise zu. Sogar der Kini, König Ludwig II., hat hier seine Spuren hinterlassen. Das Zimmer, in dem er beim Klosterwirt residierte, wird bis heute nach Möglichkeit erhalten. Sein Aufenthalt vom 22. Juni 1868 ist nachgewiesen in einem Eintrag im Fremdenbuch, wie die Gästebücher seinerzeit hießen.
Der Klosterwirt war auch die erste Anlaufstelle im „Amerikanerdorf“. Die 81 transatlantischen Künstler um Frank Duveneck fanden hier Unterkunft und im ehemaligen Kloster Ateliers. Und auch wenn die heutigen Blogger in der Regel nicht zu den großen Literaten gehören, ist im Verbund mit dem WLAN des Klosterwirts schnell eine digitale Schreibstube eingerichtet.
Auch die Kulinarik überzeugt: die Liaison aus regionaler Kost und Slow Food gelingt und der Gaumen dankt’s – egal ob Tellergericht im Servicebereich oder Zusammengestelltes aus der Selbstbedienung im Biergarten. Beachtlich ist auch das kulturelle Engagement. Beim Klosterwirt spielen regelmäßig Bands und Musiker aus der Region und bereichern den Aufenthalt.
Ein Sonntag in Polling
Der beste Besuchstag für Polling ist der Sonntag. Denn: am Vormittag ist die Kirche geöffnet, so dass man vor und nach dem Gottesdienst den Altar und die Seitenschiffe genauer betrachten kann. Und am Nachmittag von 14.00 bis 16.30 Uhr ist das Museum Polling geöffnet, das sehr gut aufgestellt ist und alle Epochen der Dorfgeschichte zeigt. Ein anschließender Sonntagsspaziergang zur Stoa169-Säulenhalle führt dann in die gegenwärtige Kultur des bayerischen Voralpendorfs.
Tipp: Maria Hager bietet in Polling als Maria vom Oberschaffler Dorfführungen an.
Hier gibt es mehr über den Pfaffenwinkel.
Transparenzhinweis: Die Recherchen wurden vom Tourismusverband Pfaffenwinkel und durch das Museum Polling unterstützt.
Was habe ich alles verpasst, als ich in Polling war….oder erlebt. Durfte das beeindruckende Projekt Stoa169 genießen. Allein dafür lohnt sich schon ein Besuch. Auch die Stiftskirche habe ich bewundernd umlaufen. Aber dieser Artikel zwingt mich fast, dieses wunderbare Örtchen nochmals aufzusuchen und aus einem weiteren Winkel zu betrachten.
Liebe Claudia, vielen Dank. Ja, Polling ist wirklich beeindruckend und lohnt einen Besuch. Oder eben auch zwei oder drei.