Henriette Gärtner im Gewerbemuseum Spaichingen

Am Probenflügel von Henriette Gärtner

Henriette Gärtner beim Klavierspiel während einer öffentlichen Probe zuzuhören ist ein besonderes Erlebnis.

Im Gewerbemuseum Spaichingen befindet sich auch dieses Tafelklavier. Kein Wunder, denn Spaichingen ist auch eine Stadt der Klavierbauer

Henriette Gärtner kenne ich schon einige Jahre. Auf ihren Konzerten höre ich die weltbekannte Pianistin immer wieder (sehr gerne), es gibt gemeinsame Ausstellungsbesuche oder auch mal Tratsch bei Kaffee oder Eis.

Bis vor kurzem hatte ich aber noch nie Gelegenheit, Henriette Gärtner beim Proben zuzuhören. Dies wurde möglich, als sie genau das einen Nachmittag lang im Gewerbemuseum in Spaichingen angeboten hat, wo ihr die Gäste öffentlich über die Schulter schauen konnten.

Wer Henriette Gärtner kennt, weiß, wie engagiert sie sich für die Kunstfreiheit – oder auch die Freiheit allgemein – einsetzt. Da insbesondere der Indoor-Kulturbetrieb während der Pandemie nahezu lahm lag, wollte sie mit einer Einladung zur öffentlichen Probe ein kulturelles Angebot machen, obwohl sie unter den aktuellen Bedingungen auch zu leiden hat.

Henriette probt, “die Gärtner” konzertiert

Als der Nachmittag mit Henriette Gärtner beginnt, macht sie das, was das einstige German Wunderkind schon immer gemacht hat. Sie spielt phantastisch Klavier, aber etwas ist anders. Sie spielt zwei Stücke von Bach und Beethoven und sie spielt sie scheinbar wie immer auswendig durch.

Aber: die Situation ist nicht so angespannt wie bei den Konzerten und die Kleidung ist freilich auch légèrer. Sie ist nicht ganz so stark fokussiert auf die Situation, aber dafür umso konzentrierter auf das Stück, das sie übt.

Die Noten liegen vor ihr. Sie performed nicht nur, sie hört auf ihr Spiel und in die Komposition. Und zwischendurch lauscht sie einem Takt oder vielleicht auch mehreren Takten, wiederholt sie, hört ihnen nach. Dann spielt sie wieder durch.

Henriette Gärtner probt im Gewerbemuseum in Spaichingen

Es sind nicht viele Leute an diesem Nachmittag da. Die Probensituation erlaubt auch ein Kommen und Gehen während des Spiels. Die wenigen Zuhörer machen die ganze Sache entspannt. In coronärem Abstand zu mir sitzt eine elegante Frau. Als Henriette Gärtner einmal ihre Konzentration kurz auflöst, fragt sie lächelnd in die Runde:

“Wer kennt das Stück?”, weiß sie die Antwort sofort. Offenkundig spielt sie auch Klavier und es stellt sich heraus, dass sie dieses Stück auch schon gespielt hat. Henriette Gärtner spielt weiter. Gefühlvoll, bewegt, virtuos. Die Frau neben mir schüttelt leicht denn Kopf, als wollte sie sagen: “Wie kann man nur so phantastisch Klavier spielen?”

Mir geht es ähnlich. Der kleine, entspannte Rahmen nimmt dem Spiel die große Bühne. Es braucht keine Repräsentation und das gibt Henriette Gärtners Spiel stattdessen Feinheit und durch die Experimente eine gewisse Intimität, Einblicke in Regungen und Ströme, die auf der Konzertbühne wenig Platz finden.

Henriette Gärtner über Kunst und Gunst, Freiheit und Verantwortung

Schon vor einiger Zeit hatte ich einmal Gelegenheit, Henriette Gärtner zur Philosophie und Praxis ihrer Kunst zu befragen. Dabei spielen CD-Aufnahmen eine starke Rolle und die sind auch begehrte Mitnehmsel bei ihren Auftritten.

Anima – Seele – heißt eine ihrer vielen CDs. Die Playlists stellt sie selbst zusammen. Bei der Auswahl von Stücken setzt sie etwa hälftig auf Standardrepertoire, um dem Publikum einen Wiedererkennungswert zu geben. Und kann sie kann sich daran messen lassen.

Henriette Gärtner kombiniert diese Solidität gerne mit unbekannten Werken großer Komponisten oder mit großen Werken unbekannter Komponisten.

“Es gibt so viel wunderbare Klavierliteratur, die selten zu hören ist. Es ist mir ein großes Anliegen, diese teilweise zu Unrecht selten gespielten Werke dem Publikum zu präsentieren”.

Henriette Gärtner

Über Anerkennung freut sie sich natürlich: “Der Applaus ist das Brot des Künstlers. Es ist ein wunderbares Gefühl, nach Jahren einsamer und harter Arbeit zu spüren, dass es gelingt, den Menschen Musik näher zu bringen und mittels Musik die Menschen berühren, sie auf der emotionalen Ebene ansprechen und begeistern zu können.”

Henriette Gärtner ist sich über die Freiheit der Kunst und entsprechend über die Verantwortung, die sie als Künstlerin hat, sehr bewusst und sieht sie als großen Gewinn. “Das Privileg, frei zu sein, frei im Geist und frei im Denken, einen freien Geist zu bewahren – bringt eine große Verantwortung mit sich”.

Und sie fährt fort: “Freiheit bedeutet nicht Willkür und Freiheit darf auch nicht als Freibrief zur Willkür missbraucht werden. Im Gegenzug ist der Preis für diese Freiheit sehr hoch”. Ihr Credo bleibt aber immer: “Das Publikum soll mit mehr Emotionen und Geist nach Hause gehen, als es gekommen ist.”

Wer Henriette Gärtner spielen sehen und vor allem hören will, informiert sich am besten auf ihrer Website über die nächsten Konzerttermine.

Weitere Begegnungen mit interessanten Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit.

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