How Vanlife started - Blick in Sonderausstellung

“How Vanlife started” im Erwin Hymer Museum: mobiles Reisen im Kasten

Im Erwin Hymer Museum in Bad Waldsee kommen Begeisterte des mobilen Reisens auf ihre Kosten. Aktuell läuft die Sonderausstellung “How Vanlife started”

Im Erwin Hymer Museum wartet die Geschichte vieler Reisemobil-Hersteller und der Pioniere der Branche, die das Reisen und Schlafen im eigenen Camper hoffähig gemacht haben. Die aktuelle Sonderausstellung “How Vanlife started” widmet sich dem Thema Kastenwagen als Campervan und ihrer unaufhaltsamen Beliebtheit der Nachkriegszeit.

Ausstellung im Erwin Hymer Museum

Im Museumsgebäude werden vier Themenwelten auf zwei Etagen vorgestellt. Zunächst geht es in Europa über die Alpen, wobei man vom Erdgeschoss in die obere Etage über eine Serpentine kommt. Das ist auch ein Symbol fürs Interesse am Reisen: Wir wollen wissen, was hinterm Berg ist.

Sonderausstellung 2023/24: “How Vanlife started” – der Siegeszug der Campervans

Die Sonderausstellung “How Vanlife started” – wie das Leben im Bus begann – widmet sich nicht einem bestimmten Jahrzehnt und ist wie die meisten Sonderausstellungen in die Dauerausstellung integriert. Durch das Logo, zusätzliche Texte und die App, die im hauseigenen WLAN mit QR-Code abrufbar ist, werden umgebaute Transporter seit 1949 vorgestellt.

Zugelassen: Booms und Reisemobile in Zahlen

How Vanlife started lässt sich nicht nur an den einzelnen Basis-Modellen ablesen. Die Beliebtheit der Lebens- und Reiseform lässt sich schon ganz nüchtern an den Bestandszahlen von Reisemobilen mit eigenem Antrieb ablesen. Waren es 1961 sage und schreibe 209, denen rund 25.000 Wohnwagen gegenüber standen, so gab es bereits 1980 – also noch vor dem ersten großen Boom – schon 58.000 Reisemobile.

Heute kommt man mit dem Zählen kaum mehr mit, um in der aktuellen Wohlstands-/Corona -/Sicherheits-/Freiheits-Welle die 840.000 Reisemobile (Stand 1. Januar 2022) festzuhalten, denen gleichzeitig 756.000 Wohnwagen gegenüber stehen. Ein nettes Detail dabei: der Caravano, Hymers “Ur-Van” wurde 1961 nur dreimal gebaut, weil der Basis-Lieferant Borgwart insolvent ging. Drei klingt wenig, doch diese drei Caravanos waren zugleich über 1,5% des gesamten Reisemobil-Bestandes in Deutschland.

Der Ur-Campervan: ein ausgebauter Gutbrod Atlas 800

Wenn die Bestandszahlen 1961 bei gerade mal bei 209 Reisemobilen lag, liegt es auf der Hand, dass der erste Campervan kein Serienfahrzeug eines Reisemobilherstellers war. Als Ur-Van, der mit allem außer vielleicht einer Dusche ausgestattet wurde, gilt der Ausbau eines Gutbrod Atlas 800.

Gutbrod Atlas 800 in der Sonderausstellung How Vanlife started

Wie alle Kastenwagen war er ursprünglich ein Transporter, bevor der Naturforscher Max Reisch einen Ausbau als Expeditionsfahrzeug in Auftrag gab. Und tatsächlich bereiste er damit den Nordpol, den nahen Osten und Afrika.

Alte Bekannte und Überraschungen: Van = mehr als Bulli

VW Bulli T1 von Jürgen Schultz

Es wird nicht wirklich überraschen: der Bulli ist Hauptakteur der “How Vanlife started”-Ausstellung. Als Vertreter der Campervan-Frühzeit sind der VW T1, T2 und T3 in mehreren Modell-Varianten zu sehen. Darunter auch der legendäre T1 von Jürgen Schultz. Der geflickschusterte und fahrbereite Dauerbrenner ist auch Teil der Dauerausstellung und sorgt jüngst durch das Buch “Im Bulli auf dem Hippie-Trail” für neue Aufmerksamkeit.

Zahlreiche andere Vans aus ganz Europa bilden alle wichtigen Etappen des Kastenwagen-Reiselebens zwischen 1950 und 1980 ab. In dieser Phase vollzog sich der Wandel vom Einzelstück hin zur Spezialisierung von Reisemobilherstellern für die breite Bevölkerung, die mit umgebauten Transportern unterwegs ist. Dazu gehören auch die Geschichten, die den damaligen Zeitgeist aufleben lassen und für so manches humorige Dejavu sorgen.

Erinnern Sie sich beispielsweise noch an die “Liebe ist…”-Phase? In dieser Zeit war das Campen auch noch einfacher. Der Bulli wurde nach Italien gelenkt und man suchte sich einen Platz am Strand an der südlichen Adria. Verbotenes Wildcamping gab es nicht, oder wenn doch, wurde es von Einheimischen und Gästen gleichermaßen ignoriert. Stattdessen war man mehr mit der Zubereitung von Trinkwasser beschäftigt, damit einen nicht Montezumas Rache heimsuchte.

Auch an die Familie wird in der aktuellen Sonderausstellung gedacht. Das Team des Erwin Hymer Museums wird durch Spiele ergänzt, mit denen Kinder leichter Einblicke in das Vanlife und die Geschichte der Vans bekommen.

Inspiration Geschichte für das Vanlife von heute

Egal ob Hersteller, Restaurateur oder Selbstausbauer – historische Fahrzeuge sind immer auch sehr gut geeignet, die Werbeparolen ihrer Zeit zu umfahren und einen realistischen Blick auf die Entwicklungen zu werfen oder sich sogar Anregungen für den Ausbau von heute zu holen. Denn ein Blick auf historische Fahrzeuge macht immer deutlich: es gibt keine Ausbauten, die sich als Standard durch alle Zeiten durchgesetzt haben.

Jede Generation muss sich ihre Grundrisse mit den aktuellen technischen Möglichkeiten neu erarbeiten. Bei meinem persönlichen Gang durch die Ausstellung ist mir ein Van aufgefallen, der hier vorgestellt werden soll: der kultige Peugeot J7. Er lief von 1965 bis 1980 rund 340.000mal von den Bändern der französischen Autofabriken und war ein gerngesehenes Fahrzeug in französischen Thrillern, schließlich konnte man aus den Schiebtüren im Fahrerhaus spektakulärer herausschießen. Der Peugeot J7 lieferte auch die Basis für den einen oder anderen Campervan.

Er fällt besonders durch seine Kompaktheit auf, die auf fünf Metern Länge die heute so beliebten Einzelbetten unterbringt. Die Frage nach zwei Meter langen Einzelbetten in einem sechs-Meter-Kastenwagen versuchen aktuell verschiedene Hersteller zu lösen. Im Peugeot J7 von Weinsberg gelingt das sogar auf 4,75 Metern Länge.

Wie kommt das? Freilich, der “Kleine Blaue” hat kein Bad. Aber andererseits ist der Schrank hinter dem Fahrersitz so groß, dass es vorstellbar ist, dort auch ein Bad zu installieren. Entscheidend aber ist der Umstand, dass die eingesetzte Variante des Peugeot J7 keine seitliche Schiebetür hat, was schnell mal einen Quadratmeter mehr Stellfläche schafft und die Diskussion um die Bauweise eines Küchenblocks gar nicht erst groß aufkommen lässt.

Der Einstieg erfolgt dann eben hinten oder durch die Fahrkabine. Das ist etwas unkomfortabel, aber fällt das angesichts der Vorteile wirklich ins Gewicht, wenn der Basis-Van auch noch Stehhöhe hätte? Mich hat’s begeistert und es ist doch eine Überlegung wert, diesen Ansatz wieder einmal aufzugreifen.

Dauerausstellung im Erwin Hymer Museum: So fing alles an

Neben den Wechselausstellungen bietet das Erwin Hymer Museum auch eine umfangreiche Dauerausstellung, welche die Geschichte der Reisemobilität seit dem beginnenden 20. Jahrhundert zeigt und auch immer besondere Blicke in die Zukunft wagt.

Freilich spielt Erwin Hymer eine große Rolle in der Entwicklung von Reisemobilen. Doch mit und vor ihm gab es noch einige andere, die das mobile Reisen auf die Straße brachten. Allen voran ist hier Arist Dethleffs zu nennen. Er war beruflich viel auf Reisen und seine Frau Fridel wollte mit ihm unterwegs sein.

Zugleich war sie Malerin, die auch unterwegs ihrer Kunst nachgehen wollte. Daraufhin baute Arist Dethleffs ein mobiles Atelier, in dem auch Schlafen, Essen und Arbeiten möglich war. So wurde 1931 quasi ein Lösungsansatz zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur Sternstunde des mobilen Reisens: das Wohnauto war geboren und die Caravan-Welle nahm bald Fahrt auf.

Wohnauto von Arist Dethleffs
Das Wohnauto von Arist Dethleffs (Nachbau aus den 1970er Jahren)

Auffällig und bemerkenswert ist die Dachkonstruktion des Wohnautos von Arist Dethleffs. Solche Dächer gibt es bis heute und es werden in aller Regel Kompaktheit und Garagentauglichkeit damit verbunden. Beim Wohnauto war das nicht Teil des Konzeptes. Das Hubdach sollte für passives Licht sorgen, damit Fridel Dethleffs den Wagen ohne Sonnenflecken als Malatelier nutzen konnte.

Triumph der Ingenieure: Von Flugmaschinen zu Wohnwagen

Bemerkenswert ist auch die Geschichte, wie es zu den Caravans von Hymer kam. Flugzeuge und Wohnwagen scheinen wenig gemein zu haben. Während die einen die Lüfte erobern, haben die anderen nicht einmal einen Motor. Entdeckt man aber Gemeinsamkeiten, können kreative Ingenieurs-Kunst und Geschäftssinn eine einmalige Erfolgsgeschichte daraus machen.

So geschehen, als der Luftfahrtingenieur Erich Bachem den Wagner und Maschinenbauingenieur Erwin Hymer um den Bau eines Caravan bat. Der “Troll” war geboren und mit der Entscheidung zur Serienproduktion auch die Marke Eriba – dem Kürzel für Erich Bachem, das bis heute gewürdigt wird.

Ein Meilenstein: Das Hymermobil

Die Entwicklung von Wohnmobilen war für Erwin Hymer und seine Mannschaft ein steiniger Weg. 1961 gelang mit dem Caravano ein erster großer Wurf. Man baute das erste Wohnmobil auf Basis eines Borgwart. Der Erfolg wurde jedoch verhindert, weil Borgwart Konkurs anmelden musste. So stockte die Entwicklung nochmals.

Nach der neuerlichen Umsetzung des ersten Hymermobils auf Basis eines Mercedes Benz L 508 gelang der langersehnte Durchbruch. Dieses Hymermobil war im Prinzip ein “Laster mit Wohnwagen hintendrauf”, dem bald der erste Integrierte folgte. Seither wird in nahezu allen Varianten der Reisemobile das Führerhaus in den Wohnraum einbezogen.

Hymermobil 550

Mobiles Reisen auf der ganzen Welt

Im Erwin Hymer Museum durchläuft man anschaulich weltweite Ziele, die als illustrierende Kulisse die Begeisterung für das Reisen auf Stellwänden, Multimedia-Stationen, Events und auch in Kinderspielwägen demonstrieren. Das macht das Museum zur Erlebniswelt, das die ganze Familie zum Publikum macht.

Die Wand mit Pionieren des mobilen Reisens

Ob Dackelgarage, Gogo-Wohnklo, Spacelab, Dachtipi, Zigeunerauto, Hippie-Bus, Badewannenmobil oder Luxusliner: hier gibt es alles, was dem Prinzip “Oben Dach, unten Räder” in irgendeiner Form gerecht wird.

Doch das Haus ist mehr als eine historische Dauerausstellung mit Erlebnischarakter. Besonders interessant ist der Blick in die Zukunft am Ende des Rundgangs. Hier werden regelmäßig wechselnde Studien vorgestellt, die den zukünftigen Entwicklungen vorgreifen.

Aktuell ist hier eine Studie von Bürstner zu sehen, der sich durch ein luftkissengepolstertes Klappdach auszeichnet. Dieses Materialexperiment ist mittlerweile zum Serienprodukt gereift. Zum einen im Bürstner Lyseo Gallery, zum andern im Hymer Venture S.

Mehr aktuelle Neuigkeiten über Reisemobile gibt es auf der Seite Camping & Wohnmobile.

Im Restaurant Caravano und im Reisemobil-Shop

Als Reminiszenz bleibt im Erwin Hymer Museum Restaurant Caravano der Name des ersten Hymer-Reisemobil lebendig. Getreu dem Motto “Reisen macht hungrig” ist das Caravano schon für sich ein Ausflugsziel, wenn man einmal kreative Varianten regionaler Küche kennen lernen will. Und die Küche ist bezahlbar, so dass man auch mit der Familie einkehren kann. Im Außenbereich gibt es auch einen Spielplatz in der Wiese.

Im Foyer gibt es auch einen Ladenbereich, wo aktuelle Bücher zur Welt des mobilen Reisens, Spielzeug und andere Gimmicks angeboten werden.

Fazit: Das Erwin-Hymer-Museum ist ein Ort für Reisemobilisten, dieser speziellen Gattung Mensch, die gerne unterwegs ist und ihr eigenes Zuhause dabei haben möchte. Das ist eigentlich nicht so ganz typisch für die schwäbische Mentalität und ihre sesshafte Häuslebauerei. Aber wie sagt man im Schwäbischen so schön: “A Feldhas isch koi Stallhas”.

Aktuelle Informationen zu den Sonderausstellungen und allen anderen Angeboten gibt es auf der Website des Erwin Hymer Museums.

Rückschau zur Sonderausstellung 2023: “Der große Boom”

Der Titel “Der große Boom” spielt auf die erste große Modewelle in den 1980er Jahren an, als das Reisemobil begann, in der Breite der Bevölkerung beliebt zu werden. Die Kernbotschaft lautete schon damals: unabhängig und dennoch komfortabel reisen.

Ein Alkoven auf Mitsubishi L 300-Basis im Erwin Hymer Museum
Der Hymercamp, ein Alkoven auf Mitsubishi-Basis, ist typisch für die Alkoven in den 1980er Jahren

Nachdem die 1960er und 1970er den Bullis gehörten, kamen erstmals mehr Wohnmobile mit Aufbauten auf den Markt. Erwin Hymer hatte mit Vollintegrierten experimentiert und damals kamen die Alkoven auf. Die beliebtesten Basisfahrzeuge waren zu Beginn der 1980er Jahre der Mitsubishi L 300, der Opel Blitz und der Mercedes Sprinter.

Woher kommt eigentlich der Begriff Alkoven?

Sie sind bis heute auf den Straßen unterwegs: Alkoven-Mobile, die insbesondere in den 1980ern sehr beliebt waren. Die Kombination aus kompaktem PKW (damals bis 2,8 Tonnen), flexiblem Parken (bei 5 Meter Länge) und Familientauglichkeit (mit vier Schlafplätzen) waren Erfolgsgaranten dieser Bauweise.

Alkoven steht in der Reisemobilbranche für die Bauweise der Schlafkojen über dem Fahrerhaus. Doch der Begriff stammt ursprünglich aus dem Mittelalter. Dort waren die Alkoven auch Schlafkojen, allerdings in Burgen. Dort war es wärmer als in den repräsentativen Ankleidezimmern. Alkoven steht also kulturell immer für einen privaten, gemütlichen Rückzugsbereich.

Durchbruch für den Ducato und den Teilintegrierten

Dann brachte Fiat den Ducato auf dem Markt, der sich schnell in der Wohnmobil-Branche breit machte und einen unvergleichlichen Siegeszug antrat. Im Vergleich zu den bisherigen Basisfahrzeugen hatte der Ducato einen entscheidenden Vorteil: Frontantrieb. Wobei nicht der Frontantrieb selbst den direkten Unterschied machte, sondern die Konsequenzen für das Fahrgestell.

Kardanwelle und Differential an der Hinterachse waren nicht mehr nötig und das schaffte Platz für tieferliegende Fahrgestelle mit niedrigen Doppelböden. Das war zugleich der Durchbruch für den Teilintegrierten, denn der direkte Anbau an das Fahrerhaus wurde möglich.

Der Hobby 600 in "Der große Boom" im Erwin Hymer Museum
Der Hobby 600 steht beispielhaft für den Boom (des Teilintegrierten) in den 1980er Jahren

Teilintegrierte gehören bis heute zu den beliebtesten Reisemobilen. Sie vereinen den Komfort und die Möglichkeiten des Vollintegrierten mit der Kompaktheit eines Campervans. Und der Teilintegrierte hat immer auch ein wirtschaftliches Argument an Bord. Er lässt sich mit einem wesentlich baugleichen Vollintegrierten um etwa 15 Prozent günstiger produzieren.

Dank geht an das Erwin Hymer Museum für die Unterstützung der Recherchen zu diesem Artikel.

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