Erwin Hymer Museum: Eintauchen ins mobile Reisen

Im Erwin Hymer Museum in Bad Waldsee kommen Reisefreudige in der Welt des mobilen Reisens ebenso auf ihre Kosten wie Technik-, Design- und Geschichts-Interessierte.

Schon auf dem Parkplatz und dem Areal vor dem Erwin Hymer Museum wird deutlich: hier geht es um eine Begegnung mit den (Ver-)Wandlungen des mobilen Reisens im Zeitalter der individuellen Mobilität. Ob man mit schickem Oldtimer oder modernem Reisemobil anreist, spielt keine Rolle, denn hier ist jeder richtig, der unterwegs ist.

Im Museum beschreitet man nicht nur die Geschichte der Hymer Gruppe, sondern auch die vieler Reisemobil-Marken und der Pioniere der Branche, die das Reisen und Schlafen im eigenen Camper hoffähig gemacht haben.

Ausstellung im Erwin Hymer Museum

Im Museumsgebäude werden Themenwelten auf zwei Etagen vorgestellt, die durch Serpentinen verbunden sind. Eine symbolische Form: Reisen bedeutet wissen zu wollen, was hinterm Berg ist. Neben der Dauerausstellung gibt es immer wieder Themenschwerpunkte, die in die einzelnen Ausstellungsbereiche integriert werden.

Sonderausstellung bis Ostern 2023: Der große Boom der 1980er

Die aktuelle Sonderausstellung hat den Titel “Der große Boom”. Er spielt auf die erste große Welle in den 1980er Jahren an, als das Reisemobil begann, in der Breite der Bevölkerung beliebt zu werden. Die Kernbotschaft lautete schon damals: unabhängig und dennoch komfortabel reisen.

Ein Alkoven auf Mitsubishi L 300-Basis im Erwin Hymer Museum
Der Hymercamp, ein Alkoven auf Mitsubishi-Basis, ist typisch für die Alkoven in den 1980er Jahren

Nachdem die 1960er und 1970er den Bullis gehörten, kamen erstmals mehr Wohnmobile mit Stehhöhe auf den Markt. Erwin Hymer hatte mit Vollintegrierten experimentiert und damals kamen die Alkoven der 1980er auf. Die beliebtesten Basisfahrzeuge waren zu Beginn der 1980er Jahre der Mitsubishi L 300, der Opel Blitz und der Mercedes Sprinter.

Woher kommt eigentlich der Begriff Alkoven?

Sie sind bis heute auf den Straßen unterwegs: Alkoven-Mobile, die insbesondere im großen Boom der 1980er Jahre sehr beliebt waren. Die Kombination aus kompaktem PKW (damals bis 2,8 Tonnen), flexiblem Parken (bei 5 Meter Länge) und Familientauglichkeit (mit vier Schlafplätzen) waren Erfolgsgaranten für diese Bauweise.

Alkoven steht in der Reisemobilbranche für die Bauweise der Schlafkojen über dem Fahrerhaus. Doch der Begriff stammt ursprünglich aus dem Mittelalter. Dort waren die Alkoven auch Schlafkojen, allerdings in Burgen. Dort war es wärmer als in den repräsentativen Ankleidezimmern. Alkoven steht also kulturell immer für einen privaten, gemütlichen Rückzugsbereich.

Durchbruch für den Ducato und den Teilintegrierten

Dann brachte Fiat den Ducato auf dem Markt, der sich schnell in der Wohnmobil-Branche breit machte und einen unvergleichlichen Siegeszug antrat. Im Vergleich zu den bisherigen Basisfahrzeugen hatte der Ducato einen entscheidenden Vorteil: Frontantrieb. Wobei nicht der Frontantrieb selbst den direkten Unterschied machte, sondern die Konsequenzen für das Fahrgestell.

Kardanwelle und Differential an der Hinterachse waren nicht mehr nötig und das schaffte Platz für tieferliegende Fahrgestelle mit niedrigen Doppelböden. Und das war zugleich der Durchbruch für den Teilintegrierten, denn nun brauchte man nicht mehr allzu hohe Dächer für Stehhöhe, was den direkten Anbau an das Fahrerhaus ermöglichte.

Der Hobby 600 in "Der große Boom" im Erwin Hymer Museum
Der Hobby 600 steht beispielhaft für den Boom (des Teilintegrierten) in den 1980er Jahren

Teilintegrierte gehören bis heute zu den beliebtesten Reisemobilen. Sie vereinen den Komfort und die Möglichkeiten des Vollintegrierten mit der Kompaktheit eines Campervans. Und der Teilintegrierte hat immer auch ein wirtschaftliches Argument an Bord. Er lässt sich mit einem wesentlich baugleichen Vollintegrierten um etwa 15 Prozent günstiger produzieren.

Dieser und vielen andere Geschichten rund um den großen Boom in den 1980er Jahren kann man noch bis Ostern 2023 nachgehen. Die nächste Ausstellung ist schon in Planung. Sie wird sich den Campervans widmen. Aktuelle Informationen zu den Sonderausstellungen und allen anderen Aktivitäten gibt es auf der Website des Erwin Hymer Museums.

Dauerausstellung im Erwin Hymer Museum: So fing alles an

Freilich spielt Erwin Hymer eine große Rolle in der Entwicklung von Reisemobilen. Doch mit und vor ihm gab es och einige andere, die das mobile Reisen auf die Straße brachten. Allen voran ist hier Arist Dethleffs zu nennen. Er war beruflich viel auf Reisen und seine Frau Fridel wollte mit ihm unterwegs sein.

Zugleich war sie Malerin, die ein mobiles Atelier brauchte. Daraufhin baute Arist Dethleffs einen Anhänger, in dem Schlafen, Essen und Arbeiten möglich war. So wurde 1931 quasi ein Lösungsansatz zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur Sternstunde des mobilen Reisens: das Wohnauto war geboren.

Wohnauto von Arist Dethleffs
Das Wohnauto von Arist Dethleffs (Nachbau aus den 1970er Jahren)

Auffällig und bemerkenswert ist die Dachkonstruktion des Wohnautos von Arist Dethleffs. Solche Dächer gibt es bis heute und es wird in aller Regel Kompaktheit und Garagentauglichkeit damit verbunden. Beim Wohnauto war das nicht Teil des Konzeptes. Das Hubdach sollte für passives Licht sorgen, damit Fridel Dethleffs den Wagen als Malatelier nutzen konnte.

Triumph der Ingenieure: Von Flugmaschinen zu Wohnwagen

Bemerkenswert ist auch die Geschichte, wie es zu den Caravans von Hymer kam. Flugzeuge und Wohnwagen scheinen wenig gemein zu haben. Während die einen die Lüfte erobern, haben die anderen nicht einmal einen Motor. Entdeckt man aber Gemeinsamkeiten, können kreative Ingenieurs-Kunst und Geschäftssinn eine einmalige Erfolgsgeschichte daraus machen.

So geschehen, als der Luftfahrtingenieur Erich Bachem den Wagner und Maschinenbauingenieur Erwin Hymer um den Bau eines Caravan bat. Der “Troll” war geboren und mit der Entscheidung zur Serienproduktion auch die Marke Eriba – dem Kürzel für Erich Bachem, das bis heute gewürdigt wird.

Ein Meilenstein: Das Hymermobil

Die Entwicklung von Wohnmobilen war für Erwin Hymer und seine Mannschaft ein steiniger Weg. 1961 gelang mit dem Caravano ein erster großer Wurf. Man baute das erste Wohnmobil auf Basis eines Borgwart. Der Erfolg wurde jedoch verhindert, weil Borgwart Konkurs anmelden musste. So stockte die Entwicklung nochmals.

Nach der neuerlichen Umsetzung des ersten Hymermobils auf Basis eines Mercedes Benz L 508 gelang der langersehnte Durchbruch. Dieses Hymermobil war im Prinzip ein “Laster mit Wohnwagen hintendrauf”, dem bald der erste Integrierte folgte. Seither wird in nahezu allen Varianten der Reisemobile das Führerhaus in den Wohnraum einbezogen.

Hymermobil 550

Mobiles Reisen auf der ganzen Welt

Im Erwin Hymer Museum durchläuft man anschaulich weltweite Ziele, die als illustrierende Kulisse die Begeisterung für das Reisen auf Stellwänden, Multimedia-Stationen, Events und auch in Kinderspielwägen demonstrieren. Das macht das Museum zur Erlebniswelt, das die ganze Familie zum Publikum macht.

Die Wand mit Pionieren des mobilen Reisens

Ob Dackelgarage, Gogo-Wohnklo, Spacelab, Dachtipi, Zigeunerauto, Hippie-Bus, Badewannenmobil oder Luxusliner: hier gibt es alles, was dem Prinzip “Oben Dach, unten Räder” in irgendeiner Form gerecht wird.

Doch das Haus ist mehr als eine historische Dauerausstellung mit Erlebnischarakter. Besonders interessant ist der Blick in die Zukunft am Ende des Rundgangs. Hier werden regelmäßig wechselnde Studien vorgestellt, die den zukünftigen Entwicklungen vorgreifen. Während der Sonderausstellung “Der große Boom” ist dieser Bereich allerdings anders besetzt.

Mehr aktuelle Neuigkeiten über Reisemobile gibt es auf der Seite Camping & Wohnmobile.

Im Restaurant Caravano und im Reisemobil-Shop

Als Reminiszenz bleibt im Erwin Hymer Museum Restaurant Caravano der Name des ersten Hymer-Reisemobil lebendig. Getreu dem Motto “Reisen macht hungrig” ist das Caravano schon für sich ein Ausflugsziel, wenn man einmal kreative Varianten regionaler Küche kennen lernen will.

Im Foyer gibt es auch einen Ladenbereich, wo aktuelle Bücher zur Welt des mobilen Reisens, Spielzeug und andere Gimmicks angeboten werden.

Fazit: Das Erwin-Hymer-Museum ist ein Ort für Reisemobilisten, dieser speziellen Gattung Mensch, die gerne unterwegs ist und ihr eigenes Zuhause dabei haben möchte. Das ist eigentlich nicht so ganz typisch für die schwäbische Mentalität und ihre sesshafte Häuslebauerei. Aber wie sagt man im Schwäbischen so schön: “A Feldhas isch koi Stallhas”.

Dank geht an das Erwin Hymer Museum für die Unterstützung der Recherchen zu diesem Artikel.

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